Was müssen Recruiter beachten, um nicht gegen das AGG zu verstoßen?

October 2011

Auf Bewerbungsunterlagen handschriftlich Ossi und ein Minus zu markieren und
diese dann zurücksenden – so ungeschickt dürfte kaum ein Unternehmen aus
der Finanzindustrie sein. Aber das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
hält manchen Fallstrick bereit. Das vor fünf Jahren in Kraft getretene Gesetz hat
Auswirkungen auf das Verhalten von Recruitern, wenn sie Bewerbern absagen
müssen.

Der Ossi-Vermerk führte zwar tatschlich zu einem Verfahren vor dem
Arbeitsgericht Stuttgart, die Bewerberin fühlte sich wegen ihrer ethnischen
Herkunft diskriminiert. Die Frau unterlag allerdings in der ersten Instanz, denn
Ostdeutsche seien kein eigener Volksstamm, die Bezeichnung somit also keine
ethnische Diskriminierung. Obwohl der Vermerk diskriminierend verstanden
werden könne, falle er nicht unter die Definition des Gesetzes, auf die die
Klägerin sich berufen hatte. Das Beispiel zeigt, wie kompliziert Fragen der
Diskriminierung und die zugehörige Rechtslage sind.

Hintergrund: Das AGG

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen
der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung,
einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu
beseitigen, so Paragraf 1 des AGG. Was bedeutet das, wenn Bewerbern für eine
Stelle abgesagt werden muss – eine Aufgabe, die zum Alltagsgeschäft von
Recruitern gehört. Nach Auskunft der Antidiskriminierungsstelle des Bundes
(ADS), die 2006 mit dem AGG geschaffen wurde, darf eine Absage nicht an die
sechs genannten Gründe für Benachteiligungen anknüpfen, diese nicht als
Begründung haben. Dies erscheint, das ist Kennern der Finanzbranche klar,
allerdings sowieso unwahrscheinlich. Eine größere Gefahr für Verstöße könnte in
der mittelbaren Bezugnahme liegen: So kann beispielsweise die Begründung
„Bewerberin ist keine Muttersprachlerin“ oder „mangelnde Sprachkenntnisse“ zur
Vermutung führen, hier liege eine Benachteiligung wegen ethnischer Herkunft
vor. Das Unternehmen müsste vor Gericht möglicherweise beweisen, dass die
Beherrschung des Deutschen als Muttersprache eine wesentliche und
entscheidende Rolle bei der auszuübenden Tätigkeit spielt – was beispielsweise
im internationalen Umfeld einer Abteilung für Investment Banking schwer fallen
könnte. Erst recht dann, wenn dort Englisch Verkehrssprache ist und die
entsprechenden Sprachkenntnisse eines Bewerbers ausreichend sind. Das
fiktive Beispiel zeigt, dass die Tücke einer AGG-konformen Absage im Detail
liegt – falls Unternehmen sich überhaupt auf die Detail-Ebene begeben. Denn
viele sind mittlerweile dazu übergegangen, ihre Absagen nicht mehr detailliert zu
begründen, aus Angst vor Klagen auf Schadensersatz oder Entschädigung. Auch
die ADS bedauert, dass die Befürchtungen vieler Arbeitgeber dazu geführt haben
dürften, dass Absageschreiben standardisiert ausfallen, um schon von
vornherein keine Angriffsflächen für Diskriminierungsvorwürfe zu bieten. Dabei
stellt ADS-Leiterin Christine Lüders klar: „Das AGG verbietet keineswegs,
Absagen zu begründen. Die Befürchtungen erscheinen übertrieben, denn das
Gesetz hat keine Klagewelle ausgelöst.“

Aus der Praxis der Recruiter

Und so drücken es von eFinancialCareers befragte Recruiter aus: „Absagen
können wir aufgrund des AGG nicht begründen. Jede Begründung wäre ein
potenzieller Grund für eine Klage. Daher nutzen wir Standardabsagen“, sagt
Sven Hennige, Managing Director Central Europe bei Robert Half International.
Diese Standardabsagen erfolgen stets schriftlich, unterscheiden sich aber
inhaltlich nach dem Grund für die Absage und dem Fortschritt im
Bewerbungsprozess. So erhält beispielsweise nicht jeder abgelehnte Kandidat
ein Schreiben mit dem Angebot, sich künftig wieder mit ihm in Verbindung zu
setzen. Selbst bei den standardisierten schriftlichen Absagen ist Robert Half
International vorsichtig: „Absagen sollten so kurz und neutral wie möglich
gehalten werden. Je ausführlicher eine Absage begründet wird, desto
angreifbarer macht man sich“, sagt Hennige. Meldet sich ein abgelehnter
Bewerber telefonisch und fragt nach Gründen, so rät Hennige: „Darauf sollte nur
sehr allgemein geantwortet werden. Bei Robert Half International hat sich seit
dem AGG die Rechtsabteilung in die Produktion von Absageschreiben
eingeschaltet, früher hat jeder Personalberater seine eigenen Absagen
geschickt, ohne dass der Inhalt überprüft wurde“, so Hennige. Trotz dieser
Vorsicht sagt er aber auch: „Wir sehen uns als Partner für unsere Bewerber und
coachen sie vor jedem Gespräch mit unseren Kunden. Und natürlich geben wir
auch nach jedem Vorstellungsgespräch Feedback, wo Verbesserungspotenzial
steckt.“

Aus der Selbsteinschätzung den Absagegrund herleiten

Diesen Spagat zwischen vorsichtigem aber dennoch hilfreichem Feedback
versuchen auch andere Berater und Banken. Michael Page International sagt
Bewerbern und Bewerberinnen grundsätzlich telefonisch und meist auch
schriftlich ab. Dabei wird normalerweise auch eine inhaltliche Begründung
gegeben, so Director Konstantin A. Werner. Diese basiert auf dem Feedback,
das Michael Page von seinen Kunden bekommt. „Kandidaten sind häufig ehrlich
daran interessiert, warum es am Ende nicht gereicht hat und wollen aus der
vermeintlichen Niederlage etwas lernen. Deshalb versuchen wir generell eine
Selbsteinschätzung der Kandidaten zum Bewerbungsverlauf zu erhalten. Daraus
lässt sich dann meistens auch schon der Grund der Absage seitens des
potenziellen Arbeitgebers ableiten“, erklärt Werner das Vorgehen. Dabei könne
es aber durchaus auch zu „Aha-Effekten“ kommen, wenn das Selbstbild nur wenig mit dem Eindruck des Kunden übereinstimmt. Hier könne es zu Problemen
kommen, so Werner. Denn „es ist wichtig, dass auch der Kandidat, der den
Zuschlag nicht erhält, ein positives Bild vom möglichen Arbeitgeber hat. Sonst
wird er vermutlich in seinem Umfeld kein gutes Haar am Unternehmen lassen.“
Durch das AGG könnten die Aussagen teilweise nicht mehr so konkret
ausformuliert werden, auch könnten nicht immer alle Ablehnungsgründe des
Kunden an den Bewerber weitergereicht werden. „Dennoch versuchen wir immer
eine Begründung zu liefern, mit der der Kandidat auch im Nachgang etwas
anfangen und aus der er lernen kann“, erklärt Werner.

Abgelehnte Bewerber sind Multiplikatoren

Auch bei der Deutschen Bank wird schriftlich mit einheitlichen Formulierungen
abgesagt. „Aber sobald ein persönlicher Kontakt stattgefunden hat, bieten wir
zusätzlich die Option für ein mündliches Feedback an“, fügt Anke Kirn, Leiterin
Resourcing Deutschland, hinzu. „Wir geben uns viel Mühe, alle Bewerbungen
möglichst zügig zu bearbeiten, um den Eindruck eines Bewerbers positiv zu
gestalten. Denn uns ist bewusst, dass jeder Kandidat und jede Kandidatin
Multiplikator für uns als Arbeitgeber ist.“

Ebenso standardisierte und auf ihre AGG-Konformität geprüfte Absageschreiben
verwendet die Commerzbank, solange es noch nicht zum persönlichen Kontakt
gekommen ist. Denn: „In welcher Form wir Bewerbern absagen hängt davon ab,
in welchem Stadium der Bewerbungsphase sie sind. So erhalten Teilnehmer in
unseren Trainee-Auswahlverfahren von uns am Abend des Auswahltages ein
ausführliches, individuelles Feedback in einem etwa halbstündigen persönlichen
Gespräch“, sagt Isabell Uloth, Spezialistin für strategisches Personalmarketing
im Bereich Talent Management der Commerzbank. In diesen Gesprächen
„versuchen wir immer, die Rückmeldungen mit konkreten Beispielen zu belegen.
Dafür eignen sich insbesondere wörtliche Zitate der Bewerber“, so Uloth weiter.
Auch die Commerzbank weiß um den Multiplikatoreffekt bei der Behandlung
abgelehnter Kandidaten und handelt danach: „Es kommt immer wieder vor, dass
mehrere Bewerber das Auswahlverfahren für eine zu vergebende Stelle
bestehen. Dann müssen wir zunächst eine Absage erteilen, bemühen uns aber,
erfolgreichen Bewerbern ein anderes Angebot zu machen. Das ist uns bereits
häufig erfolgreich gelungen.“

AGG macht keine Einschränkungen

Thomas von Ciriacy-Wantrup, Partner bei Fricke Finance & Legal, befolgt
die Faustregel: Telefonische Absage nach persönlichem Gespräch des
Bewerbers mit Fricke selbst oder mit dem Auftraggeber, in früheren Stadien oder
bei sehr spät eintreffenden Bewerbungen auch schriftliche Absagen. Wer im
Bewerbungsprozess sehr weit gekommen ist, „hat nach Möglichkeit eine qualifizierte Absage verdient, aus der er für weitere Bewerbungsprozesse etwas
mitnehmen kann, wenn es Punkte gab, die der Bewerber besser machen kann“,
so Ciriacy-Wantrup. Das AGG mache dabei keine Einschränkungen, allerdings
habe sich mit dem Gesetz „die Transparenz im Absagehandling nicht erhöht.“
Und „wenn Absagen sehr stark mit der Persönlichkeit des Kandidaten
zusammenhängen, ist die Besprechung von Details abzuwägen, weil es sich hier
um subjektive Einschätzungen in Bezug auf den Bewerber handelt.“ Um
abgelehnten Kandidaten detailliertes Feedback zu geben, sei man zudem häufig
auf den Input unserer Kunden angewiesen. Unternehmen verhalten sich hierbei
uns gegenüber teilweise ebenfalls vorsichtig und gewähren nicht immer
vollständigen Einblick in die Gründe für eine Absage.“

Fazit

Es ist in der heutigen Geschäftswelt in der Regel selbstverständlich, dass
Mitarbeiter und Kandidaten diskriminierungsfrei behandelt werden sollen, erst
recht in der teils stark internationalisierten Finanzindustrie. Aber gut gemeint ist
nicht immer auch gut gemacht. Auch wenn das AGG den Unternehmen wenig
konkrete Vorschriften macht – in Sachen Absagen an abgelehnte Bewerber
überhaupt keine – sind diese gut beraten, ihre Absageschreiben gründlich zu
prüfen. Denn eine Klage wegen Diskriminierung kostet unter Umständen sehr
viel mehr Reputation als Geld und kann sich sogar dann äußerst schädlich für
das Image erweisen, wenn es letztlich nicht zu einer Verurteilung kommt. Die
Ansichten der befragten Recruiter zeigen, dass es durchaus einen Spagat
zwischen möglichst hoher juristischer Absicherung gegen Klagen und dem
Wunsch nach individuellem Feedback gibt. Die meisten Befragten sagen aber
auch ganz klar, dass es durchaus Spielräume dafür gibt. Und sie sind sich
bewusst, dass auch abgelehnte Bewerber und der Umgang mit ihnen zur guten –
oder eben auch schlechten – Reputation als Arbeitgeber beitragen.