Finanzexperten zeigen hohe Wechselwilligkeit: Was bedeutet das für das Recruiting?

August 2011

eFinancialCareers.de

Eine aktuelle Untersuchung zeigt: Fast die Hälfte der deutschen Finanzexperten will noch im laufenden Jahr den Arbeitgeber wechseln. Heißt das, Recruiter und Personalberater haben leichtes Spiel? Die Experten sind geteilter Meinung. Interessanterweise können gerade Programme zur Mitarbeiterbindung die Arbeit der Recruiter erleichtern. Viele wechselwillige Kandidaten interessieren sich dafür, ob ein künftiger Arbeitgeber ihnen in dieser Hinsicht mehr bietet als der aktuelle. Dieses zu kommunizieren wird daher im gegenwärtigen Finanzfachkräftemangel immer wichtiger.

Laut einer Umfrage von eFinancialCareers.de unter deutschsprachigen Finanzfachleuten wollen 45 Prozent von ihnen 2011 den Arbeitgeber wechseln. Nur 20 Prozent sind bereit, sich an den bisherigen zu binden. Bei einer vergleichbaren Umfrage von eFinancialCareers.de in Großbritannien waren sogar 52 Prozent wechselwillig. In beiden Umfragen gaben die Finanzexperten an, bessere Karrierechancen seien der wichtigste Grund für ihren Wunsch nach einem Wechsel. Das klingt, als sei die Arbeit von Personalberatern und Recruitern derzeit ein Zuckerschlecken, zumal fast die Hälfte der Befragten von mehr entsprechenden Anrufen als im Vergleichszeitraum 2010 berichtet. Und 36 Prozent haben zwar schon ein Gegenangebot des aktuellen Arbeitgebers erhalten, aber nur 21 Prozent fühlt sich durch eine solche Offerte zum Bleiben motiviert.

Unterschiedliche Ansichten zur Wechselbereitschaft

Tatschlich ist das Geschäft von Personalberatern und Recruitern nicht automatisch einfacher geworden, berichten Praktiker aus der Branche. Denn offensichtlich gibt es Differenzen zwischen der postulierten und der tatsächlichen Wechselbereitschaft, die sich vielleicht durch den Wunsch, den eigenen Marktwert zu testen, erklären lassen. Andreas Haberberger, Abteilungsdirektor Personalbetreuung und Rekrutierung bei der DZ Bank, sagt: „Die grundsätzliche Wechselbereitschaft ist in den letzten Monaten eher niedriger geworden, weil Arbeitgeber bei engen Märkten und im „War for Talents“ entsprechende Retention-Programme auflegen, um ihre Leistungsträger zu halten.“ Sven Hennige, Managing Director Central Europe bei Robert Half International, stimmt zu, wenn auch aus anderen Gründen: „Wir stellen fest, dass die Wechselbereitschaft im Moment sehr gering ist. Viele Finanzexperten haben bereits gewechselt, als die Krise abgeflaut ist, sie stehen dem Bewerbungsmarkt jetzt nicht mehr zur Verfügung. Insgesamt beobachten wir gerade, dass der Kandidatenmarkt sehr knapp ist.“

Hingegen sagt Thomas von Ciriacy-Wantrup, Partner bei Fricke Finance & Legal: „Wir bemerken derzeit eine hohe Wechselbereitschaft, die verknüpft ist mit einem positiven Trend in der Branche und einer starken Nachfrage nach Finanzfachleuten. Bei den sehr gut qualifizierten Kandidaten war das auch während der Finanzkrise nicht anders, die gehen immer ihren Weg. Aber jetzt spüren wir auch in der Breite eine viel höhere Wechselbereitschaft bei Bewerbern. Der Wettbewerb um neue Mitarbeiter ist sehr hoch und wir haben nur selten Fälle, bei denen der Kandidat nach Abschluss der Orientierungsphase nicht zwei oder gar drei Vertragsangebote auf dem Tisch liegen hat.“ Konstantin A. Werner, Director bei Michael Page International, berichtet ebenfalls von einer „Öffnung der Kandidaten“. Werner macht aber die Erfahrung, „dass viele Mitarbeiter diverse Bewerbungsprozesse parallel angeschoben haben. Die Kandidaten halten sich häufig alle möglichen Optionen offen und entscheiden sich auch gegen nachverhandelte Vertragsangebote.“ Das mache den Wechselprozess einerseits leichter, weil Kandidaten sich häufiger für ein Mandat begeistern lassen, aber andererseits auch schwerer: „Die Prozesse sind intransparenter, Kandidaten nicht immer offen in der Kommunikation“ weiß Werner. Für Sven Hering, Leiter HR Beratung bei der DekaBank, hat die aktuelle Situation zwei wichtige Seiten: „Aufgrund der Konjunkturlage gibt es derzeit gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt für wechselbereite Arbeitnehmer. So haben auch wir aktuell eine Vielzahl an offenen Stellen zu besetzen. Wir sehen die allgemeine Wechselbereitschaft in der Finanzbranche daher durchaus als Chance für uns, gute Kandidaten für diese Positionen zu rekrutieren.“ Aber Hering sieht auch Risiken: „Gleichzeitig steigt dabei natürlich für uns die Herausforderung, uns auf dem externen aber auch auf dem internen Arbeitsmarkt als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren.“

Geld, mehr Verantwortung, interessantere Aufgaben was reizt Kandidaten?

Für Recruiter ist es entscheidend, den richtigen Ansatzpunkt für eine erfolgreiche Vermittlung oder Rekrutierung zu kennen. In der Selbstauskunft der Finanzexperten ist der Gehaltssprung klar hinter der persönlichen Fortentwicklung angesiedelt. Im Alltag der Recruiter scheint aber dann auch das nicht mehr ganz so eindeutig. Konstantin A. Werner sagt einerseits, dass nachhaltig interessante Kandidaten durch einen „überzeugenden Auftritt des suchenden Unternehmens“ und die „Weiterentwicklung ihrer Aufgabe oder Verantwortung“ zu begeistern sind, aber eben auch über „ein entsprechendes Gehalt“. Ein einzelner dieser drei Aspekte motiviere aber nur selten. Und er fügt hinzu: „Aktuell sind vermehrt pekuniär getriebene Bewerber unterwegs, die teilweise auf ein verbessertes internes Gegenangebot warten. Und das auch häufig bekommen.“ Jenseits der aktuellen Situation ist Werner aber überzeugt: „Grundsätzlich steht die inhaltliche und persönliche Weiterentwicklung im Vordergrund.“ Interne Angebote würden häufig erst dann kommen, wenn der Bewerber kündigt und seien zudem oft Lippenbekenntnisse, um Zeit zu gewinnen. Auch für Sven Hennige ist ganz klar: „An erster Stelle beim Ködern wechselwilliger Mitarbeiter steht nach wie vor das Gehalt. Können sie mehr Geld verdienen als beim bisherigen Arbeitgeber, sind sie schneller von einem Wechsel zu überzeugen.“ Die persönliche Fortentwicklung bei den übernommenen Aufgaben oder die Entwicklungsmöglichkeiten der Karriere spielen „natürlich auch eine Rolle. Diese beiden Faktoren sind aber eher mittelfristig ausschlaggebend“, so Hennige.

Individuelle Angebote für individuelle Motive

Nach den Erfahrungen von Thomas von Ciriacy-Wantrup, Sven Hering und Andreas Haberberger ist die Priorität der wechselwilligen Finanzexperten hingegen umgekehrt. „Mehr Verantwortung und eine höherwertige Aufgabe stehen im Vordergrund, bei einer marktblichen Vergütung“, sagt Haberberger. Und Thomas von Ciriacy-Wantrup erklärt: „Finanzexperten werden in der Regel durch den Wunsch nach persönlicher Fortentwicklung zum Wechsel motiviert. Ein Teil will seine Karriere voranbringen, also höher qualifizierte Aufgaben oder mehr Verantwortung übernehmen. Diese Mitarbeiter suchen beispielsweise Führungsverantwortung für ein Team. Der andere Teil möchte sich in seiner aktuellen Aufgabe fortentwickeln, tiefer in seinen Bereich einsteigen. Diese Kandidaten streben etwa nach einer Senior-Position.“ Natürlich erwarten beide Gruppen mehr Geld, so von Ciriacy. „Aber das Finanzielle ist nur ein Nebenaspekt. Immer wieder erlebe ich auch Wechsel, die nicht mit einem Gehaltssprung verbunden sind, sondern ausschließlich mit mehr Verantwortung.“ Ebenso Sven Hering, der „an einer nachhaltigen Gewinnung und Bindung von Leistungs- und Potentialträgern interessiert ist.“ Eine attraktive, marktgerechte Vergütung spiele dabei natürlich eine nicht zu vernachlässigende Rolle, aber finanzielle Anreize hätten oft nur kurzfristige Effekte, so Hering. „Die Motivation, den Arbeitgeber zu wechseln, ist vielmehr von den individuellen Motiven, Bedürfnissen und Zielen der jeweiligen Person abhängig, von daher sollte man auch individuelle Angebote machen. So können für den einen herausfordernde Projekte, der nächste Karriereschritt oder gar ein Auslandseinsatz besonders reizvoll sein, für den anderen jedoch die Möglichkeit, die beruflichen Ziele mit den privaten optimal in Balance zu bringen.“

Mobilität? Ja, aber …

Ein Wechsel des Arbeitgebers ist nicht selten mit einem Umzug verbunden. Dazu sind Finanzexperten in der Regel bereit, so die Erfahrung von Recruitern und Personalberatern. Allerdings nicht grenzenlos: „Bewerber sind meist nur mobil, wenn es sich um attraktive Standorte handelt“, so Sven Hennige von Robert Half International. London und Zürich seien „sehr gefragt, wobei in London die Auswirkungen der Krise noch stärker zu spüren und Jobs eher knapp sind“, so Hennige. In Deutschland wollen seiner Erfahrung nach die meisten Finanzexperten nach Frankfurt, die Wechselwilligkeit zu anderen deutschen Bankstandorten „ist sehr gering ausgeprägt.“ Europa zu verlassen „können sich die wenigsten Bewerber, die wir kennenlernen, vorstellen“, so Hennige. Thomas von Ciriacy-Wantrup hat ähnliche Erfahrungen gemacht: „Einen Wechsel innerhalb Europas bewerten die meisten ebenso wie den Umzug von einer deutschen Stadt in eine andere. Wenn es allerdings um außereuropäische Arbeitsplätze geht, sinkt die Bereitschaft deutlich. Dazu sind meiner Erfahrung nach nur noch ein Fünftel bis ein Drittel bereit.“ Andreas Haberberger sagt: „Kandidaten sind mobil, wenn Herausforderung und Aufgabe passen.“ Allerdings würden vermehrt die Interessen der Familie oder des Lebenspartners einfließen. „Wenn es uns als Arbeitgeber gelingt, einen Beitrag zur Lösung zu leisten, dann gibt es eine große Aufgeschlossenheit.“ Nur Konstantin Werner hält die Mobilität generell für gering – trotz gegenteiliger Ankündigung. Selbst auf nationaler Ebene sei die Bereitschaft zum Umzug niedrig – abgesehen von karrierebewussten Kandidaten. Die seien „deutlich flexibler. Hier darf es auch gerne einmal über den Kontinent hinausgehen.“

Retention-Programme dienen der Bindung UND der Gewinnung

Wie wirken sich die Retention-Programme vieler Unternehmen aus der Finanzindustrie auf die Arbeit von Recruitern aus? Auf den ersten Blick könnte man denken, sie komplizieren den Prozess und machen es Personalberatern und Recruitern schwieriger, Kandidaten von einem Wechsel zu überzeugen. Allerdings kann auch der gegenteilige Effekt eintreten, weiß Thomas von Ciriacy-Wantrup. Denn „das Thema Mitarbeiterbindung spielt oft schon beim Wechsel eine Rolle. Bei guten Bewerbern gehört es zu den Standardfragen, sich für die Entwicklungsmöglichkeiten bei einem möglichen Arbeitgeber zu interessieren.“ Es kann also durchaus ein gutes zusätzliches Argument sein, um einen unzufriedenen Kandidaten von einem Wechsel zu überzeugen, wenn der künftige Arbeitgeber attraktive Retention – Programme bietet. Allerdings ist auch klar: Zufriedene Mitarbeiter sind schwerer wegzulocken. „Es kommt immer gut an wenn Unternehmen sich um ihre Mitarbeiter bemühen und versuchen, diese zu binden. Je mehr getan wird, desto höher die Erfolgschance“, sagt von Ciriacy-Wantrup. Nötig sei hier nicht in erster Linie mehr Geld, weiche Faktoren wie beispielsweise Weiterbildung seien wichtiger. „Es hat viel mit Atmosphäre und Stimmung im Unternehmen zu tun. Wenn es eine Grundzufriedenheit beim Mitarbeiter gibt ist die Chance hoch, ihn zu halten. Vor allem Beschäftigte mit fünf, sechs oder mehr Jahren Berufserfahrung und insbesondere dann, wenn durch die persönliche Situation – Kinder, Haus, Partnerschaft – die Wechselbereitschaft nachlässt und das Risiko eines neuen Arbeitgebers stärker in den Blick gerät. Um Grundzufriedenheit zu erzeugen ist es wichtig, Kandidaten und Mitarbeitern klare Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen, sowohl im Hinblick auf die Karriere, als auch finanziell.“ Von den Vorteilen entsprechender Programme überzeugt ist auch die DZ Bank. Andreas Haberberger sagt: „Wir sind ein attraktiver und zukunftsorientierter Arbeitgeber. Das Geschäftsmodell schafft Perspektiven und auch Sicherheit, ein durchaus ernstzunehmendes Motiv. Wir setzen ein Retention-Programm ein und stützen Führungskräfte etwa durch Beratungsimpulse, die nicht-monitäre Anreize in den Vordergrund rücken.“

Und auch die DekaBank engagiert sich mit etlichen Programmen für ihre Mitarbeiter. Für Sven Hering spielt ein „vertrauensvoller und wertschätzender Dialog zwischen Führungskräften und Mitarbeitern eine zentrale Rolle.“ Außerdem versucht die DekaBank attraktive Rahmenbedingungen zu bieten, wozu Hering „leistungsgerechte Bezahlung, Karriereperspektiven für Fach- und Führungskräfte auch über Bereichsgrenzen hinweg sowie strategische Personalentwicklungsinstrumente“ zählt. Mittels Gesundheitsmanagement und eigenem Gesundheitszentrum in unmittelbarer Büronähe sorgt sein Haus für den Erhalt der Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter. „Ein externes Employee Assistance Programme entlastet unsere Mitarbeiter bei Alltagssorgen oder in schwierigen Lebenssituationen“, so Hering. Außerdem bietet die DekaBank zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie Teilzeitmodelle, Unterstützungsmöglichkeiten bei der Kinderbetreuung und bei der Pflege von Familienangehörigen.

Fazit

Manche der befragten Recruiter bestätigen, dass derzeit eine erhöhte Wechselbereitschaft bei Finanzexperten zu spüren ist auch wenn nicht immer klar entscheiden werden kann, ob diese nicht nur taktisch motiviert ist und die Beschäftigten auf ein Angebot ihres Arbeitgeber setzen. Aus Sicht des Arbeitgebers wie des Recruiters kommt deshalb der Mitarbeiterbindung eine wichtige Aufgabe zu. Entsprechende Programme können die Zufriedenheit der Mitarbeiter herstellen, sichern und erhöhen und damit einer Abwanderung vorbeugen. Sie können die Arbeit von Recruitern aber auch erleichtern, indem sie Kandidaten ein zusätzliches Argument zum Wechsel bieten. Wer nicht ganz zufrieden ist mit der Atmosphäre und der persönlichen Situation oder auch der Entlohnung im aktuellen Job und dann ein Angebot bekommt, das Vorteile für die persönliche Entwicklung hat, vielleicht spannendere Aufgaben und dazu noch einen Gehaltsaufschlag bietet, für den kann ein klar strukturiertes Retention-Programm beim neuen Arbeitgeber der letzte Anstoß zum Unterschreiben sein. Eine sofortige Verbesserung, gepaart mit definierten Zukunftsperspektiven und einem Arbeitgeber, der die eigene Arbeit wertschätzt wer will da nein sagen?